Schwäbische Eventottos

Im letzten Jahrzehnt ist der FC zu so etwas wie einem Angstgegner des VfBs geworden. Eine Reise ins Schwabenland stand also unter guten Vorzeichen. Das Ergebnis ist bekannt, und bescherte mir auch ein vergnügliches Wochenende.

Das letzte Mal als ich im Daimler-Stadion war ist schon einige Jahre her, deshalb kann ich auch nicht mehr mit Gewissheit sagen ob es bereits damals so war, oder ob sich in Stuttgart einfach bestimmte Entwicklungen zum Veranstaltungskonsum stärker bemerkbar machen. Es fing damit an, dass eine zur Hälfte eingedeutschte eingeschwäbischte Variante von „You’ll never walk alone“ abgespielt wurde. Unorigineller geht es nun wirklich nicht. Es folgte etwas in der Form einer eigenen Hymne, aber es sang keiner mit. Also entweder war es doch keine Hymne (und sie nehmen den Gerry & the Pacemakers Song, gäähn) oder keiner kennt den Text. Kann natürlich auch sein, dass ich etwas verwöhnt bin von 50000 Kehlen die „Mer stonn zo Dir“ intonieren. Dann kam die Mannschaftsaufstellung. Den eigenen Fans nicht vertrauend, wird diese mit extrem lauter Musik unterlegt um die Dezibelzahl zu erhöhen. Dummerweise hat dies jedoch den Effekt, dass man mehr aus den Lautsprechern hört als von den Rängen kommt. Es mag ja sein, dass da lauthals die Namen gebrüllt wurden (was ich jedoch bezweifle) viel kommt davon aber nicht an. Die Lautsprecher haben mich teilweise manchmal sowieso glauben lassen, dass ich in eine Militärübung eines sozialistischen Staates geraten bin: Die Lautstärke voll aufgedreht, wurde immer schön zum Anfeuern aufgefordert und Einpeitscher-Musik gespielt. Sicherlich wird dies mittlerweile in den meisten Stadien benutzt, aber beim FC wesentlich dezenter und, wenn überhaupt, auch nur zur Unterstützung. Im Daimler-Stadion ging die Stimmung aber fast ausschließlich von den Lautsprechern aus, und nicht umgekehrt.

Unglaublich nervig waren in diesem Zusammenhang auch die Einblendungen der Zwischenergebnisse von den anderen Plätzen. In Köln werden diese gesammelt und an zwei, drei Malen eingeblendet, angekündigt vom dezenten Meckern des Geißbocks. In Stuttgart wurde jedes Tor sofort mit großem Tam-Tam und Werbebotschaft auf der leinwand angezeigt. Gerade an diesem Spieltag hieß dies: Alle paar Minuten Zwischenstände. Die Leute um mich herum waren so zum größten Teil nur damit beschäftigt zu schauen wo gerade wieder ein Tor gefallen war. Zu allem Überfluss wurden auch noch die Tore von Hoffenheim bejubelt, hier ist mir fast der Kragen geplatzt und ich setzte mein kuscheliges FC-Exil in Mitten von VfB-„Fans“ aufs Spiel.
Mein lautstarkes Jubeln über die Tore des FCs zeigten, dass ich doch nicht so allein auf der Tribüne war. Erstaunlich viele FC-Fans im Schwabenländle außerhalb des Gästeblocks. Es gibt doch ein paar vernünftige Schwaben.
Am besten fand ich jedoch die VfB-Anhänger, die in Scharen um mich herum zehn Minuten vor Spielende aus dem Stadion strömten um rechtzeitig zu ihrem Mercedes in der Tiefgarage zu gelangen. Zu diesem Zeitpunkt stand es wohlgemerkt nur 2:1 für den FC, und der VfB drückte auf den Ausgleich. Na gut, sie konnten ja nicht wissen dass der Schiedsrichter anscheinend einen höheren Lohn vermutete wenn er sechs Minuten nachspielen lässt. Und so hatte ich extrem viel Platz auch noch das 3:1 zu bejubeln.

Sicherlich ist die Veramerikanisierung von Großveranstaltungen kein neuer Trend. Zuschauer werden zu reinen Statisten und Konsumenten, Stimmung wird nur konsumiert oder auf Anforderung produziert. Die Eigenleistung nimmt immer mehr ab. Emotionen sollten ursprünglich von den Zuschauern kommen und auf den Rasen überschwappen, heute sitzen mehr und mehr Zuschauer auf den Rängen denen der Enthusiasmus für eine Mannschaft fehlt und die deshalb nur bei einer Show Emotionen zeigen. Da ist es dann unerheblich für wen gerade die Tore fallen, oder das auf der Leinwand zweitrangige Ereignisse als wichtig angezeigt werden.
Gut, dieser Trend ist allen Stadien zu beobachten, aber es gibt dann doch unterschiedliche Ausmaße. In Stuttgart fand ich den Grad schon sehr an der Schmerzgrenze, so weit sind wir in Köln sicherlich noch lange nicht. Vermutlich liegt dies an bestimmten traditionellen Strukturen. Man kann sagen, dass es bei uns bedingt durch den Karneval, überdurchnitllich viel lokales Liedgut gibt. Da ist es etwas einfacher die Masse des Stadions aus sich heraus zum singen und jubeln zu bekommen. „Hey, Hey VfB“ als fast einzigen Fangesang ist dann doch etwas einseitig. Aber den Weg zu gehen die Stimmung per Lautsprecher zu forcieren ist einfach der komplett falsche Ansatz. Das Publikum gewöhnt sich so schnell daran, dass sie nicht mehr auf die Idee kommt die eigenen Emotionen zur Stimmungserzeugung zu benutzen. Von Zuständen wie im Basketball sind wir zwar noch etwas entfernt, aber für das Daimler-Stadion ist der Weg dahin schon recht kurz.
Kleiner Nachtrag: Ich beziehe mich hier fast ausschließlich auf das sitzende Publikum, der Stehblock der Schwaben war in Ordnung, wenn auch recht unoriginell.

Ein Gedanke zu „Schwäbische Eventottos

  1. Tja, so sind sie eben, die Schwaben. Hab sogar eben von einem waschechten Schwaben bestätigt bekommen, dass beim VfB viele Eventottos sitzen. Und eigentlich dachte ich immer er wäre einer davon…

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