Gorlebendige Demokratie

Rein sachliche Entscheidungen kann man in politischen Dingen meistenteils nur von einer Minderzahl erwählter Volksvertreter erwarten.
Franz von Holtzendorff

Der Castor ist am Ziel, und entgegen der Berichterstattung mancher Medien waren die Proteste extrem friedlich. Ebenso dürfte klar sein, dass sich die Proteste sich nicht spezifisch gegen den einen Transport gerichtet haben, sondern ein Zeichen gegen die Atompolitik allgemein setzen sollte.

Nun hat der Transport sehr viel Geld gekostet, und schon tauchen merkwürdige Forderungen auf, z.B. dass man doch die Demonstranten finanziell zur Rechenschaft ziehen sollte. Joachim Herrmann (bayrischer Innenminister) und Joachim Pfeiffer (wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion) wollen „illegale“ Demonstranten zur Kasse bitten.
Diese Forderung zeigt in mehrfacher Hinsicht deutlich, dass diese Volksvertreter weder von unserem Staat noch von Demokratie viel verstehen. Erste Überraschung: Diese Forderung ist überflüssig, denn „illegale“ Demonstranten können bereits ganz legal zur Rechenschaft gezogen werden, da sie ja eine Straftat begehen. Und genau dafür wird die Polizei vom Staat (bzw. den Ländern) bezahlt, um strafbare und ordnungswidrige Handlungen zu ahnden.
Es ist im deutschen Recht nicht vorgesehen, dass Straftäter auch die Polizeieinsätze zahlen, weil es gesellschaftspolitisch ein vollkommenes Absurdum darstellen würde.
Womit deutlich wird worin die wahre Intention der merkwürdig formulierten Forderung besteht: Dem Großteil der Demonstranten Rechtsbruch und Gewaltbereitschaft zu unterstellen. Man versucht hier also eine unbequeme Opposition in die Ecke der Illegalität zu stellen. Man möchte den Vergleich mit Nordkorea oder dem Iran nicht ziehen, aber er kommt einem dennoch in den Sinn.

Wie komm ich nun zu dem Vorwurf des mangelnden Demokratieverständnis der beiden Herren (die hier nur Stellvertretend für eine Vielzahl unserer heutigen Politiker stehen)?
Immer wieder ist zu hören in der Demokratie hätte die Mehrheit das Sagen. Dies ist jedoch falsch. Wesentliches Merkmal einer Demokratie ist eben nicht die Herrschaft der Masse (die sogenannte Tyrannei der Mehrheit) sondern die Volksherrschaft, d.h. die Herrschaft des Volkes zum Gemeinwohl aller. Hierzu gehört insbesondere der Schutz und die Interessen der Minderheiten.

Wenn also von der Bildzeitung und den Konservativen immer wieder betont wird, dass im Wendland ja nur eine geringe Minderheit (<- häufig mit dem beliebten Zusatz: Chaotische) Lautstark protestieren würde, dann haben sie eben nicht begriffen was Demokratie ausmacht: Das Gemeinwohl, und nicht das Wohl der Mehrheit auf Kosten einer Minderheit. Und genau hier wird mit der Laufzeitverlängerung ein Schuh draus: Hier setzt nur eine Mehrheit (die vor einem Jahr gewählte Regierungskoalition) entgegen dem Gemeinwohl etwas durch. Die Laufzeiten werden verlängert, es entsteht noch mehr Atommüll, und für diesen Müll besteht kein Konzept der Entsorgung. Der Gesellschaft wird also durch die Entscheidung ein Problem auferlegt, dass nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Das Gemeinwohl beinhaltet nämlich nicht nur die jetzige Generation, sondern auch die künftigen Generationen unserer Gesellschaft.

Das diese Regierung bisher wenig bis nichts für das Gemeinwohl getan hat braucht man nun ja nicht zu betonen, aber diese Ignoranz gegenüber unseren Erben ist bisher ihr Meisterstück.
Die Laufzeitverlängerung ist ungefähr so, als würde man seinen Kindern ein Gift verabreichen das zwar schöne Haut macht, aber bei einer unbedachten Bewegung fatale Folgen haben könnte. Dann sagt man den Kindern: „Theoretisch gibt es ein Gegenmittel. Und du bist noch jung, du hast ja noch Zeit daran zu forschen“

Die Proteste im Wendland wurden also nicht von „illegalen“ Demonstranten veranstaltet sondern von Menschen die zum größten Teil das wertvollste Gut der Demokratie ausübten: Auf das Gemeinwohl aufmerksam zu machen welches gerade für unzählige Millionen an eine Handvoll von Energiekonzerne verkauft wurde.

Morgen beantrage ich übrigens Geleitschutz der Polizei wenn ich mit meinen Sondermüll auf die Straße gehe. Und wenn sich jemand darüber beschwert, dann soll er gefälligst den Polizeieinsatz bezahlen der notwendig ist, wenn ich die ganzen Schwermetalle reichlich ungeschützt vor die Tore der Grundschule lege.

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