Gealtert

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Das Alter, das man haben möchte, verdirbt das Alter, das man hat.
Paul von Heyse (1830 – 1914), deutscher Romanist

Spoilerwarnung. Der Text erwähnt Dinge, die der Leser vielleicht selber im Kino oder auf Filmkonserve entdecken möchte, bevor er diesen Eintrag liest.

Man verläßt das Kino und hat gerade einen Film gesehen der für 13 Oscars nominiert wurde und wird nach seinem Urteil gefragt. Man zögert, und sagt dann der Film sei sehr schön. Eigentlich fasst diese Aussage in Kombination mit dem Zögern alles zusammen.
Warum zögerte ich? Es ist ein wunderschöner Hollywoodfilm mit all seinen Zutaten: Großartige Schauspieler, wundervoll fotografiert, gute Regie, ein klassischer Score, raffiniert benutzte Technik, bestückt mit Liebe, Leid, nochmals Liebe und einer Portion Humor. Er könnte perfekt sein, wenn der Titel des Films nicht Der seltsame Fall des Benjamin Button wäre. Denn nach reiflicher Überlegung habe ich einen sehr schönen romantischen Film über die Liebe gesehen, jedoch relativ wenig über Benjamin Button erfahren. Ausgerechnet das Drehbuch ist das schwächste Glied des Films, und damit das fehlende Puzzleteil was aus einem guten Film ein Meisterwerk hätte machen können. Diese Schwäche ist mir bewusst geworden, als ich mir überlegt habe wie eine Liebe zwischen Benjamin und Daisy verlaufen wäre ohne die Anomalie des Benjamins. Ist es nicht so, dass es viele Paare gibt die nur eine bestimmte Zeit parallel laufen können. Ist dies so besonders, dass man dafür die seltsame Erscheinung des Jünger-Werdens braucht? Diese Frage konnte mir der Film leider nicht beantworten.

Die Geschichte des Benjamin wird aus seinem Tagebuch vorgelesen, einem Medium dem man meist die innersten Gefühle anvertraut. Dies wird in dem Film jedoch fast ausschließlich auf die Liebe reduziert. Was in dem Menschen vorgeht der seinen Weg rückwarts gehen muss erfährt man nur an der Oberfläche. Man beobachtet wie er Dinge tut, bleibt aber häufig einfach der verwunderte Beobachter einer merkwürdigen Eigenart. Viele Probleme der gegenläufigen Entwicklung fallen weitestgehend unter den Tisch. Rückläufige Pubertät, Freundschaftbildung mit Gleichaltrigen, umgekehrter Erfahrungsschatz, Umgang mit dem Tod etc., all dies wird bestenfalls angeschnitten.
Dies geht soweit, dass ich einige Nebenfiguren teilweise viel spannender fand, wie zum Beispiel die von Tilda Swinton verkörperte Elisabeth Abbot. Trotz ihres kurzen Auftritts erfährt man mehr über ihren Umgang mit dem alt werden, als über die Situation bei Benjamin.

Es ist kein schlechtes Drehbuch, aber es gäbe Autoren die hätten sicher mehr aus der Vorlage herausgeholt.

Für die Oscars prophezeie ich dem Film einige Trophäen, aber ob er auch in den Hauptkategorien abräumen wird, da bleibe ich skeptisch. Er legt die Messlatte oscartechnisch hoch, aber nicht unüberwindbar.
Vermutlich werde ich aber total daneben liegen, und er wird ausgerechnet den Drehbuchoscar bekommen.

Der Schlusssatz muss Cate Blanchett gelten: Wenn es einen Gott gibt, so hat er mit der Schönheit dieser Frau sein Meisterwerk geschaffen, einfach nur atemberaubend!
[imdb]0421715[/imdb]

8 Gedanken zu „Gealtert&8220;

  1. Also ich hab den Film bisher nicht gesehen. Die größte Frage, die sich mir dabei stellt, ist, was passiert denn ganz am Ende, also in dem Moment wo er rückwärts geboren werden müsste? Aber wahrscheinlich kommt das in dem Film nicht mehr vor.

  2. OK, ich hab die Antwort mal als Spoiler überarbeitet. Wer also unbedingt wissen will wie der Film endet muss den folgenden Abschnitt markieren um den Text lesen zu können.

    Nein, er schlüpft nicht zurück in den Mutterleib – ginge ja auch nicht da diese bereits normal gealtert und gestorben ist.
    Er stirbt als alter Mensch in Babygestalt.

  3. Doch, kommt es: es kommt vor! Aber wie und was, das kann man ja nicht verraten. Schau ihn dir an 🙂
    Ich stimme zum größten Teil überein; nur in einer Sache nicht, nämlich der, dass man nichts (oder nur sehr wenig) über den Fall (also die Person) Benjamin Button erfährt.
    Denn ich denke, durch eine sehr gute Darstellung der um ihn herum wirkenden Personen wird man doch über Benjamin Button informiert. Sind wir nicht auch das, wie andere uns sehen? Welche Gedanken die Menschen um uns herum sich zu unserer Person machen? Wie sie uns einschätzen und nicht unbedingt nur wie wir uns selber einschätzen…?
    Unsere Umwelt macht uns doch auch zu einem großen Teil aus,
    denke ich: das ist wunderbar ‚rüber gekommen.
    Desweitern erfährt man auch ziemlich viel darüber, wie er mit verschiedenen Dingen umgeht (die zum Beispiel rückläufige Pubertät, der Umgang mit dem Tod usw.). So unterschiedlich können Wahrnehmungen sein; ich denke es ist sehr großartig gemacht, dass er eben mit den verschiedenen Dingen keine Probleme hat. Das er es als normal ansieht so zu sein, weil alle um ihn herum es als normal ansehen und er in seinem Denken doch eher bestärkt wird.
    Nun ja, auch ich möchte abschließend sagen: Cate Blanchett IST wunderbar. (Oscarreif ist sie nebenbei gesagt auch (Hauptrolle)).

    P.S. Gehe trotzdem weiter mit dir ins Kino :-))

  4. Ich bitte darum dass wir weiterhin zusammen ins Kino gehen!
    Soweit sind wir auch gar nicht voneinander entfernt. Natürlich erfährt man viel über Benjamin, aber wie es tief in seinem Innersten aussieht, das hat mir ein wenig gefehlt. Der Umgang mit dem Tod z.B. hat mich einfach nicht überzeugt. Aber vielleicht stört mich auch eher DAS er kein Problem mit den Dingen hat und sie als gegeben ansieht, und ich mir das einfach nicht vorstellen kann. Dies ist dann aber vermutlich eher mein Problem und kein Problem des Drehbuchs – Du hast gewonnen.

  5. Um das nochmals zu betonen, weil es anscheinend anders angekommen ist: Ich finde den Film sehr gut! Allerdings sehe ich ihn nicht als das Meisterwerk was 13 Oscarnominierungen vermuten lassen.

  6. Ich habe den Film gestern abend geschaut. Natürlich gab es leider die unvermeidliche Pause in der Mitte des Filmes. Bis dahin hat er mich ein wenig an Forrest Gump erinnert, ich fand ihn handwerklich gut und eher „ganz nett“.
    Nach der Pause – also in der zweiten Hälfte des Filmes – dreht er in die Richtung Gefühl und Nachdenklichkeit ab. Grandios die Szene, in der das Schicksal erklärt wird, welche Ereignisketten doch zu unserem Guten oder Schlechten beitragen. Und zum Schluss ganz großes Gefühlskino, bei dem ich mich behrrschen musste, dass aus den feuchten Augen nicht ein paar Tränen fliessen.
    Auffallend viele Zuschauer älteren Semesters (inkl. uns?) in dieser Vorstellung (Hürth, Samstag 19 Uhr). Vielleicht auch, weil es eher ein nachdenklicher Film über das Leben ist?
    Fazit: Ganz grosses Kino (8.5/10)

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